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Die Praxis von Buddha im Zen

von
Zentatsu Richard Baker Roshi

Buddha als historische Person und Praxis

Die Quelle des Buddhismus als Lehre und Praxis ist eine historische Person (geboren um 563 v. Chr.), genannt Siddharta Gautama oder Shakyamuni Buddha. Die historische Person Buddha ist in der Zen-Praxis durch die sich fortentwickelnde Tradition seiner Lehren und Praktiken gegenwärtig als ein Bild maximaler und erreichbarer Größe und als ein Beispiel für verwirklichbare Erleuchtung.

 

Nach dem Tode von Shakyamuni Buddha entwickelte sich das Konzept von Buddha, als einer bestimmten historischen Person, hin zu einer Betonung von Eigenschaften, die alle Buddhas verkörpern müssen. "Buddha" als Begriff meint also nicht nur bestimmte Buddhas, er meint auch die Merkmale, Tugenden und Funktionen der Buddhas. In diesem Sinne ist ein Buddha nicht nur eine historische Person, sondern auch das Gewahrsein und die körperliche Lebendigkeit eines Buddhas. Buddhistische Praxis ist es, sich dieser neu und wieder ausrichtenden Art des Lebendigseins anzunähren, die wir Buddha nennen, sie einzuverleiben und zu verwirklichen.

 

Traditionellerweise und tatsächlich wird der Buddha durch die gleichzeitige Praxis von Weisheit und Mitgefühl zum Leben erweckt: Weisheit erwächst durch Beobachten, Betrachten und Meditieren über sowie durch Einsicht in die Tatsächlichkeit; und gleichzeitig erwächst Mitgefühl durch Beobachten, Betrachten und Meditieren über sowie durch Einsicht in die eigentlichen Bedürfnisse und "Geiste" der Wesen – und durch das Handeln zu deren Wohl.

 

Die Eigenschaften eines Buddhas, die verwirklicht und praktiziert werden können, so wie Zen sie versteht, schließen strahlendes Gewahrsein, klare Wahrnehmung, spontanes Handeln, Gleichmut des Geistes, durchdringende Glückseligkeit, durch Erfahrung gewonnene Kenntnis des eigenen Geistes und des Geistes von anderen, stetes Mitgefühl und erleuchtende Weisheit ein. Während viele der traditionellerweise Buddha zugeschriebenen Eigenschaften in den Sutras mit einem übermenschlichen Maß versehen werden, versteht Zen sie mit menschlichem Maßstab als Potentiale, die alle Menschen teilweise kennen und die jeder Mensch durch Absicht und Praxis vollständig verkörpern kann. (Selbst die Darstellungen übermenschlicher Buddhas sind immer noch Darstellungen von und für den menschlichen Geist und Körper.) Tatsächlich teilen wir ja alle die Lebendigkeit eines Buddhas, einfach durch unser Lebendigsein. Wenn die Buddha-Lebendigkeit nicht umgesetzt wird, wird das im Buddhismus Unwissenheit genannt.

 Drei Verständnisse des Buddha

Obgleich die Eigenschaften eines Buddha seine Neu- und Wiederausrichtung, Verwandlung und Reinigung der gewöhnlichen Wirklichkeit darstellen, ist es wichtig zu verstehen, dass ein Buddha nicht außerhalb der Tatsächlichkeit steht und dass ein Buddha Wirklichkeit auch nicht erschafft. Wenn es kein Außen gibt, ist alles ein "Innen", und es ergeben sich drei wesentliche Möglichkeiten: Der Buddha kann als ein Teil der Tatsächlichkeit verstanden werden. Der Buddha kann verstanden werden als verursacht von oder entstanden durch Tatsächlichkeit. Und der Buddha kann als identisch mit dem Ganzen der Tatsächlichkeit verstanden werden. Diese drei Weisen, Buddha zu verstehen, sind die Grundlagen der Zen-Praxis, insbesondere die beiden letzten.

 

Das Verständnis von Buddha als Teil und Ganzes der tatsächlichen Wirklichkeit erlaubt eine Akzentverschiebung vom historischen Buddha hin zu den Buddha-Eigenschaften und zur Buddha-Natur. Noch einmal gesagt: Das Verständnis von Buddha in Beziehung zur Tatsächlichkeit ermöglicht einen Übergang von Buddha als einer bestimmten, außergewöhnlichen historischen Person zu Buddha als den Eigenschaften eines Buddhas, an denen man teilhaben und die man praktizieren kann, und schließlich zu einem Konzept von Buddha-Natur,die verwirklicht wird durch ein Umwenden hinein in die gemeinsam geteilte "Wahre Natur" des Ganzen von Tatsächlichkeit. Ein Buddha erscheint also auch durch Erleuchtung, durch ein unmittelbares, alles-auf-einmal zusammenführendes Herumwenden in Tatsächlichkeit wie-sie-ist. Dieses direkte Eintreten in den Einklang mit der Weise, wie die Dinge tatsächlich existieren,ist die Erleuchtung eines Buddhas. Dogen versucht, dies zu einer praktischen und praktizierbaren Vorstellung zu machen, indem er sagt: "Das gesamte Universum ist der wahre menschliche Körper".

 

Da es nach buddhistischem Verständnis kein Außerhalb des Universums gibt, und kein mit dem "Hier" unverbundenes "Da drüben" (die Lehre von wechselseitiger Abhängigkeit und Durchdringung), muss das Erscheinen eines Buddhas und seiner oder ihrer Erleuchtung mit Allem-auf-einmal verbunden sein. Diese Anschauung des Kosmos als überall gleichzeitig gegenwärtig, entsteht durch die umfassende Anwendung der zentralen buddhistischen Lehre von Veränderung; dass Veränderung sich durch sich selbst verändert; dass alles sowohl zeitlich abfolgend als auch gleichzeitig voneinander abhängig ist und sich daher wechselseitig durchdringt.Das Erscheinen eines Buddhas, das Erscheinen von jedem Ding ist vollständig abhängig von allem anderen. Daher ist Alles-überall-auf-einmal die notwendige Bedingung für Erleuchtung und die Grundlage für das Konzept kosmischer Buddhas.

 

Nichtsdestoweniger ist Erleuchtung auf eigentümliche Weise nicht kausal. Sie entsteht nicht aus etwas, das wir absichtsvoll tun oder denken können, noch entsteht sie aus unserem Karma. Aber da Erleuchtung nun einmal auftaucht, von woher kommt sie? Wenn sie nicht aus bestimmten Ursachen entsteht, dann muss die ursächliche Bedingung wiederum Alles-auf-einmal sein, oder genauer: ein Geist und Körper in Übereinstimmung mit Allem-auf-einmal. Erleuchtender Geist ist ein Geist, der die tatsächliche Einzigartigkeit und gleichzeitige Entelechie (Bewegung hin zur Erleuchtung) von Allem-auf-einmal verwirklicht. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass die Erleuchtungserfahrung verinnerlicht - oder manchmal überhaupt bemerkt wird, wenn ihr nicht vorbereitende Übungen vorausgegangen sind. Und es ist unwahrscheinlich, dass sie in uns oder der Welt aufrechterhalten werden oder wirken kann, wenn sie nicht durch unablässiges Praktizieren zur Reife gebracht wird.

 Erleuchtung als Übereinstimmung mit allem

Diese "Alles-auf-Einmalheit"wird mit der Gleichzeitigkeit des Raumes und nicht mit der Abfolge der Zeit gleichgesetzt. Folglich ist der kosmische Dharmakaya-Buddha die Vorstellung eines Buddhas, der mit dem Raum und mit der Tatsächlichkeit der Welt identisch ist, so wie sie alles-auf-einmal ist. Diese Sichtweise eines Kosmischen Buddhas als identisch mit der sich wechselseitig durchdringenden Tatsächlichkeit ist die Grundlage für die Pädagogik sogenannter "plötzlicher Kultivierung" und plötzlicher Erleuchtung. Diese Sichtweise ist im Zen und Hwa Yen auch die Grundlage der "Vollkommenen Lehre" einer Erleuchtung, die sich ununterbrochen als die lebendige Gegenwart aller Wesen und Dinge manifestiert.

 

Die auslösende Bedingung für die Erleuchtung kann auch die Gegenwart oder Handlung oder Bemerkung eines Lehrers oder eines Freundes oder irgendeines Menschen sein, es kann auch eine zufällige Gelegenheit, die Intensität der Praxis oder die Erkenntnis von Vergänglichkeit sein,aber wenn dem so ist, dann wäre das eine Gegenwart, Handlung, Bemerkung,Gelegenheit, Praxis oder Erkenntnis, die durchsichtige, ungehinderte Übereinstimmung mit Allem-auf-einmal auslöst. Die Ursache ist dann das Ganze der Tatsächlichkeit. Durch Übungen von Meditation und Achtsamkeit wirken diese Alles-auf-einmal- Bedingungen in uns als unvollkommene, aber dennoch teilweise präsente Buddha-Identität. Aber durch Erleuchtung manifestieren sich diese Bedingungen in uns als erwachte Buddha-Natur. Verwirklichung reift in uns nach der Erleuchtung und reift in der Welt durch fortwährende Erleuchtung.

 

Der Buddha als Raum, Raum als lebendiges erfahrbares Feld des Geistes, ist nicht bloß ein Konzept, sondern eine tatsächliche - und nicht ungewöhnliche – Meditationserfahrung. Dementsprechend betont Zen das Beobachten, Betrachten und Meditieren über den Geist, als untrennbar von der Nichtsubstanzhaftigkeit des Alles-auf-einmal, um so den Geist eines Buddhas zu verwirklichen. Dies wird in der Zen-Lehre ausgedrückt durch"Eben Dieser Geist Ist Buddha! (This Very Mind ls Buddha!)".

 Die verschiedenen Manifestationen des Buddha

Zen-Übungen gehen davon aus, dass Erleuchtung eine fortwährende Unmittelbarkeit ist, in die wir Moment für Moment eintreten können und die in unser Leben und das Leben anderer eingewoben werden kann. Es ist nicht nur eine bestimmte Erfahrung in der Zeit, sondern ein Handeln durch die allgegenwärtige Potentialität der Erleuchtung als Einklang mit Allem-auf-einmal. Im Zen wird dies gelehrt als das gegenseitige Wirken von Absolutem und Relativem und durch andere Lehrdoktrinen und -mittel, wie Form und Leerheit oder Gastgeber und Gast. In diesen Zen-Übungen wird Buddha als die fortwährende Manifestation der Erleuchtung in jeder Aktivität verstanden. Jetzt können wir sehen, dass ein verwirklichter Mensch ein Buddha genannt wird, dass die Bedingungen, die einen Buddha ermöglichen, gleichermaßen ein Buddha genannt werden und dass die Aktivität der Erleuchtung ein Buddha genannt wird.

 

Buddha wird auch verstanden als die Linie der Lehrer, deren Erleuchtung durch unsere eigene Verwirklichung in uns lebendig sein kann. Dies wird die "vertikale Linie" genannt.Gleichzeitig ist der Buddha als Sangha das Erleuchtungspotential, das wir alle in jedem Augenblick sind. Diese Potentialität und Gegenwart von Erleuchtung kann auch als Buddha durch die Sangha wirken. Wir nennen dies die "horizontale Linie". Folgerichtig ist die Sangha ein Feld von Handlungen, das die Qualitäten und Merkmale eines Buddhas in jedem Moment auftauchen lassen kann.

 

Alle buddhistischen Schulen teilen mehr oder weniger das gleiche Verständnis und die gleichen Übungen, auch wenn die Schwerpunkte verschieden sind. Einige Schulen betonen Meditation (so wie die Zen-Schulen), andere eine mehr philosophisch fundierte Praxis, wieder andere den Glauben an einen gottähnlichen Buddha und einige betonen das Verfolgen idealer Formen des Seins. Nichtsdestoweniger ist das Ziel aller buddhistischen Schulen, Buddhas Erleuchtung, Weisheit und Mitgefühl durch unsere eigene Erleuchtung, Weisheit und unser Mitgefühl weiterzuführen.

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