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Neujahrsbrief an die Sangha

von
Nicole Baden

Übrigens: Falls Du noch nicht in unserem postalischen Verteiler gelistet bist, die Post von uns aber erhalten möchtest, kannst du dich HIER für diesen Verteiler eintragen. Gern senden wir Dir auch die Jahresbroschüre, den Neujahrs-Brief und die Einladung zur Mitgliedschaft nachträglich zu.

Liebe Sangha-Freund*in,

wir wünschen Dir ein frohes neues Jahr!

Dies tippe ich als erste Zeile und schaue gleichzeitig fragend in den Bildschirm. Dort steht der Satz jetzt erstmal einsam im Fenster des Textverarbeitungsprogramms. Direkt daneben, in einem zweiten Bildschirmfenster, sehe ich den zweifelnden Gesichtsausdruck von Baker Roshi. Wir sind per Zoom-Konferenz verbunden, schreiben diesen Brief gemeinsam. Und nun fragen wir uns, ob der Anfangsgruß wirklich stimmig ist. „Froh? Ist das in diesen Zeiten nicht ein bisschen viel verlangt? Und das neue Jahr? Kann ein Datumswechsel im Moment wirklich von Bedeutung sein?" Abgesehen davon, dass unser aller Leben derzeit nicht von einem Kalender, sondern vielmehr von den Rhythmen des Infektionsgeschehens geprägt ist, steht für Baker Roshi und mich inzwischen alles, was geschieht, in dem viel größeren Kontext der bedrohlichen und leidvollen Ereignisse auf diesem Planeten.

Für Baker Roshi gibt es im Moment im Grunde nur ein wichtiges Thema "Wir müssen aufwachen!", sagt er. " Damit die Gesellschaft erwachen kann, müssen erstmal einzelne Menschen erwachen. Wir wissen vielleicht noch nicht, was wir tun können. Aber wir müssen Wege finden, auf denen wir handlungsfähig sind, ohne uns von unserem Nicht-genau-wissen blockieren zu lassen."

Vor diesem Hintergrund einer gefühlt in Scherben liegenden, überholten Vorstellung von Normalität, spüre ich zunehmend, dass andere Themen fast verloren wirken. Als wären sie nicht in Kontakt mit dem, was wirklich zählt. Doch das ist natürlich ein Trugschluss: Denn auch und eben gerade in diesen Zeiten zählen die konkreten Dinge umso mehr. In diesem Sinne und mit diesem Gefühl wenden wir uns nun den Themen zu, die uns aktuell in der Dharma Sangha bewegen.

„Was glaubst du, was war im letzten Jahr wichtig für die Sangha? Wovon sollen wir ihr berichten?“, frage ich Baker Roshi. Er überlegt, er scheint mehr als eine Antwort parat zu haben. Doch dann fokussiert sich sein Blick und er fragt mit Bestimmtheit zurück: „Gab es im letzten Jahr einen Tag, auch nur einen einzigen, an dem der Zendo nicht eröffnet wurde? Gab es einen Tag, an dem kein Räucherwerk dargebracht wurde?“ – „Nein“, erwidere ich, „das haben wir jeden Tag gemacht.“ – „Na, dann weißt du ja, worüber du schreiben solltest“, sagt er, als ob es dem nichts hinzuzufügen gäbe.

Für mich gab es in diesem letzten Jahr eine ganz bestimmte Frage, die immer wieder auftauchte. Selbst dann, wenn ich ihrer überdrüssig war. Sie tauchte manchmal inmitten von schwierigen Ereignissen und manchmal im Austausch mit anderen auf. Ich sah sie in Zeitschriften und manchmal sogar in meinen Träumen: Was trägt? Wenn die Dinge sich verändern oder sogar zerfallen, was trägt dann wirklich? Gibt es etwas, was von nichts anderem abhängig ist? Gibt es etwas, was sich vollkommen aus sich selbst heraus erhält?

Für die Dharma Sangha war 2021 ein schwieriges Jahr. Ich pausiere hier kurz beim Schreiben und überlege, wie drastisch ich den folgenden Satz formulieren möchte. Faktisch ist es so, dass wir an den Herausforderungen dieser Pandemie hätten scheitern können. Inzwischen, und das ist die gute Nachricht, sieht es danach nicht aus. Wir wähnen uns auf einem guten und zukunftsfähigen Weg. In den beiliegenden Broschüren findest Du Informationen zu unseren Präsenz-Angeboten im Zen Buddhistischen Zentrum Schwarzwald und zu bevorstehenden Online-Kursen, an denen Du von Zuhause aus teilnehmen kannst.

Ein weiteres bedeutsames Thema für die Dharma Sangha ist der sich vollziehende Generationswechsel. Im kommenden März wird Baker Roshi 86 Jahre alt. Auch aufgrund seines Alters hat er mit seinem letztjährigen Neujahrs-Brief offiziell die Zeit für einen Generationswechsel eingeleitet. So ein Prozess ist nicht einfach. Schließlich muss dabei ein gewachsenes Gefüge ein stabiles Fundament bieten, gleichzeitig aber auch Raum und Unterstützung für Neues geben. Verantwortung und Gelerntes müssen nicht nur übertragen, sondern auch angenommen werden. Eine Zeit nach, eine Praxis ohne Baker Roshi? Für viele war das lange kaum vorstellbar. Und bei aller Zuversicht denke auch ich manchmal: „Es wäre schon erstaunlich, wenn uns das als Sangha gelingt". Andererseits kommt das Thema natürlich nicht überraschend; wir haben uns im Rahmen unserer Möglichkeiten vorbereitet. Schon das Winterzweige-Programm, das 2006 begann,war genau diesem Zweck gewidmet: Die Winterzweige bringen die Blüten eines neuen Frühlings hervor.

Baker Roshi und ich glauben, dass wir uns heute in einer guten Ausgangssituation befinden, was den Generationswechsel betrifft: Wir haben hier viele langjährige Praktizierende, die gut ausgebildet wurden. Und es gibt jetzt auch viele jüngere, neuere Sangha-Mitglieder, die ihre Energie einbringen wollen und dabei von den Älteren in ihrer Praxis begleitet, eingebunden und inspiriert werden. Älter und jünger, lang dabei und neueingestiegen, oder, wie Baker Roshi liebevoll sagt, „the old guard and the less-guarded“ (die „alte Garde“ und die „weniger Gepanzerten oder Gewappneten“): Das ist inzwischen ein wiederkehrendes und lebendiges Thema in vielen Sangha-Treffen.

Eine dritte Herausforderung, die schon so selbstverständlich geworden ist, dass sie leicht in Vergessenheit gerät, ist die Zusatzbelastung, die wir 2012 durch die Campus-Erweiterung um das Hotzenholz-Grundstück auf uns genommen haben. Die Erweiterung hat uns viele Jahre beschäftigt und wurde lange kontrovers diskutiert. Die Veränderungen, die durch sie notwendig wurden, waren vielschichtig. Alle praktischen und strukturellen Aspekte haben wir inzwischen gut gemeistert. Doch die Rückzahlung der Kredite lastet mit rund 5.000 Euro im Monat nach wie vor auf uns. Unsere Bank hat die Rückzahlungen aufgrund der Pandemie gestundet, aber ab Juni müssen wir die Summe wieder Monat für Monat aufbringen.

Die Belastung ist natürlich nur die eine Seite. Die andere ist der Gewinn an Wert und Möglichkeiten. Und der Wert dieses erweiterten Campus-Juwels ist wirklich nicht zu übersehen: Wir verfügen heute über „einen Ort, der Menschen verortet“. Über einen Ort, der groß genug ist, um eine kleine Welt zu sein; und komplex genug, um zukünftige Generationen an Praktizierenden auszubilden. Was für eine enorme Errungenschaft, die sich die Sangha in nur einem Jahrzehnt erarbeitet hat!

Wir sind diesen komplexen Prozessen immer zusammen begegnet, als Sangha. Gemeinsam sind wir nun an einen Punkt gelangt, von dem aus wir selbst inmitten beträchtlicher Herausforderungen zuversichtlich in die Zukunft schauen. Dafür danken wir von ganzem Herzen allen, die ihre kleineren oder größeren, dauerhaften oder punktuellen Beiträge geleistet haben. Und so ist die Antwort auf diese Frage, die sich mir immer wieder stellt, auf einmal ganz klar und eindeutig: Was trägt uns in der Dharma Sangha? Sangha!

Die kommenden Jahre sollen deshalb unter dem Motto Sangha-Entwicklung stehen. Das ist es, was Baker Roshi und mir im Moment am Wichtigsten erscheint. Und so haben wir zu diesem Zweck bereits ein paar Aspekte angestoßen – zum Beispiel das Sangha-Treffen für Langjährige im Februar oder das Sangha-Visionstreffen im Juni, über Pfingsten.

Die Grundvoraussetzung für eine fortlaufende Sangha-Entwicklung ist, die Gruppe derer zu definieren, die diese Entwicklung mitbetreiben, begleiten oder bezeugen möchten. Dafür schlagen wir nun ein Mitgliedsprogramm vor. Eine Einladung dazu findest Du anbei.

Was wir betonen wollen: Bei der Mitgliedschaft geht es nicht darum, eine Grenze im trennenden Sinne zu ziehen. „Sangha“ ist im Zen alles, was diesen Augenblick ermöglicht! Die wichtigste Botschaft, nicht nur im Zen, sondern im „Menscheln“: Es gibt nichts, was aus diesem Augenblick ausgeschlossen wäre. Das Mitgliedsprogramm soll unter anderem einfach eine differenziertere Kommunikation ermöglichen; zur Beteiligung einladen; die Vernetzung untereinander fördern; und, falls einige von Euch die Mitgliedschaft mit einer Förderspende verbinden, das ZBZS finanziell weiter stabilisieren.

Wichtigstes Medium des Mitgliedsprogramms wird ein eigener Email-Verteiler, über den wir in Zukunft alle umfangreicheren Informationen versenden. Über den bisherigen Verteiler werden wir immer noch Kursankündigungen, Dharma-Zitate und allgemeine, kurze Informationen senden. Mit Blick auf die digitalen Informationsfluten, denen wir heute ausgesetzt sind, ist es wichtig, diese Unterscheidung treffen zu können. Die Mitgliedschaft ermöglicht es Dir, Dich selbst so zuzuordnen, wie Du es Dir wünscht.

„Sangha“, sagt Baker Roshi, „das sind alle die, die gemeinsam die Lehren von Weisheit und Mitgefühl erforschen, bewahren und an die nächste Generation weiterreichen." Jede und jeder ist willkommen. Wir hoffen, dass sich viele von Euch für eine Mitgliedschaft entscheiden! Wir hoffen, dass Du Dich dafür entscheidest. Weitere Gedanken dazu findest Du auf der beiliegenden Klappkarte.

Bevor ich dieses Schreiben beende, halte ich inne, stehe vom Schreibtisch auf. Es ist schon spät, ich gehe nochmal in den Zendo. Die aktivierende Stille des Miteinander-sitzens ist inzwischen, nun, da alle Hausbewohner*innen schlafen, einer anderen Art von Stille gewichen. Einer eher passiven Stille, die durch Abwesenheit entsteht. Wenn wir Zeit im Zendo verbringen, lernen wir, dass es viele Arten von Stille gibt: manchmal eine intensive, durchdringende Stille; manchmal eine Grenzen-aufhebende. Manchmal ist die Stille zart und entzieht sich, sobald man greift! Und manchmal ruft sie. Wenn Du Dich gerufen fühlst, dann komm gern zu uns! Wir eröffnen den Zendo jeden Tag. Jeden Morgen wird Räucherwerk dargebracht. Es ist alles bereit und wartet auf Dich.

Zum Abschluss versuchen Baker Roshi und ich uns doch noch einmal am Neujahres-Gruß, an einer Variante ganz frei von allen anderen Gedanken: Wir wünschen Dir ein gutes Jahr. Wir wünschen Dir Kraft, Freude und Gesundheit. Und wir wünschen Dir den Gleichmut, allem einfach begegnen zu können – so, wie es ist.

Mit herzlichen Grüßen

Tatsudo Nicole Baden und Zentatsu Richard Baker

P.S.: Wenn Du Dich direkt zur Mitgliedschaft anmelden möchtest, klicke HIER.

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